Textinterview mit Bendicht Luginbühl

By arno.luginbuehl März 22, 2021

Im Textinterview liegt der Fokus auf der digitalen Transformation, die sich verändernde Arbeitskultur im digitalen Umfeld sowie wichtige Zukunftskompetenzen. Am Ende des Interviews findet ihr mehr zur spannenden Persönlichkeit.


Executive Summary

  • Selbstkompetenz ist eine zentrale Erfolgs-Kompetenz und hängt indirekt mit der Thematik «Lifelong Learning» zusammen.
  • Die digitale Transformation bedeutet das Bestreben des Menschen, sich an neue digitale Gegebenheiten anzupassen und diese im Sinne angepasster oder gänzlich neuer Geschäftsmodelle zu nutzen.
  • Digitale Kompetenz heisst in Zukunft einen besseren Umgang mit den digitalen Medien und dem Internet. Da wird an Fachhochschulen und Mittelschulen zu wenig für die Zukunft gearbeitet.
  • Die digitale Transformation wird in eine neue Wirtschaftsform münden: Weniger die Gewinnmaximierung als Hauptkomponente, vielmehr die Wohlergehens-Maximierung wird künftig im Zentrum stehen.
  • Die Arbeitskultur in Teams wird zunehmend agil und interdisziplinär. Die geschlechterspezifische und die altersspezifische Durchmischung nimmt zu. Die Leistungserstellung geschieht zunehmend über interdisziplinären Teams, die in mehrmonatigen Arbeitssessions Leistungen im Verbund erbringen und die häufig in mehreren Projekten parallel aktiv sind.
  • Die Fähigkeit zur Wahrnehmung von Führungsverantwortung – die mentale Stärke und ein aktueller Wissenstand – sind entscheidende Faktoren für die erfolgreiche Führungstätigkeit im aktuellen Umfeld.
  • Entscheidend Fähigkeiten für die Zukunft sind:
    • Digitale Kompetenz: Entwicklung von Selektionshärte in Bezug auf den Einsatz der digitalen Produktionsmittel sowie den Umgang mit digitalen Distributionsvektoren.
    • Digitale Mündigkeit: Selektiver und auf Qualität ausgerichteter Umgang mit dem Technologieangebot. Less is always more.
    • Mentale Kompetenz: Die Fähigkeit, das eigene Leben im digitalen Kontext neu zu managen, Synergien zu nutzen und die Leistungserbringung im Fokus zu behalten.

Interview im Detail

Im Detail sagt Bendicht Luginbühl zu den fünf recherchierten Auswirkungen der digitalen Transformation in Bezug auf Teams:

Agilität ist ein Buzzword und für viele im Arbeitsalltag bereits negativ behaftet. Denn Agilität bedeutet, die Bereitschaft zu haben, alte Werte, Traditionen und lieb gewordene Gewohnheiten allenfalls über Bord zu werfen. Die Agilität im Alltag zu bewältigen ist dagegen eine permanente Herausforderung, den sie widerläuft einigen bisher gemachten Erfahrungen im Arbeits- und Leistungserstellungsprozess.

Der Transformationsprozess bezüglich der Teambildung läuft fokussierter ab, wenn er von erfahrenen Spezialisten begleitet wird. Coaches können helfen, die Anforderungen und Erwartungen des Unternehmens an seine Mitarbeitenden in heute gültige digitale Realitäten umzusetzen.

Der Begriff der Flexibilität hat sich zum Modewort entwickelt. Flexibilität bedeutet häufig die Erwartung an den Menschen, dass dieser in Minutenschnelle im Tagesablauf bereit sein muss, neue Dinge zu tun, sich auf neue Zielsetzungen einzustellen, mit neuen Menschen in anderen Teams zu interagieren. Besser liesse sich der Begriff der gelebten Vielseitigkeit nutzen. Das Selbstmanagement wird mit der zunehmenden Aufweichung der Unternehmensgrenzen zusätzlich eine wichtige Kompetenz. Hartes Training und hohe Anforderungen an die eigene Disziplin sind unverzichtbar.

Die damit verbundene Eigenkompetenz hat stark mit der Thematik des Life Long Learning zu tun. Also die Anforderung an den Menschen, immer wieder von neuem lernen zu müssen. In der Realität ist es aber absolut schwierig, im Alter von 42 Jahren noch eine neue Lehre zu machen, eine neue Sprache zu lernen oder den Umgang mit digitalen Geräten zu lernen. Die Selbstkompetenz gestaltet sich als zusätzlich wichtige Kompetenz, sobald man in ein agiles Team hineinkommt. Darum ist es wichtig die Eigenkompetenz stets auf einem hohen Niveau zu halten.

Unternehmerisches Denken besteht aus meiner Sicht aus zwei Komponenten: Ressourcenorientiertes- und kundenorientiertes Denken. Die Kernfrage dabei: Welche Ressourcen stehen uns in dem Unternehmen zur Verfügung? Mit diesen Ressourcen wird danach gearbeitet. Es beinhaltet für mich auch ökologisches Denken: Wie kann ich etwas ressourcenorientiert herstellen?

Eine Fehler- und Risikobereitschaft ist in Unternehmen und deren Teams innerhalb der digitalen Transformation bereits weit verbreitet: Heute investiert man in die neue Entwicklung viel Human- und Finanzkapital, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Die digitale Transformation ist ein Rund-um-die-Uhr-Versuch des Menschen sich an neue digitale Gegebenheiten anzupassen. Heute sind wir mitten in diesem Prozess, der enorm viele Opfer fordert. Opfer sind diejenigen Menschen, die trotz Anstrengungen nicht mehr mithalten können. Opfer sind jene, die einen immer höheren, unbezahlten Aufwand erbringen müssen, um digitale alltägliche Aufgaben auszuführen, welche früher von den Firmen als Dienstleistung an den Kunden erbracht worden sind.

Aus traditionellen Arbeitsstrukturen sind wir gewohnt, einen Anfang und ein Ende im Bereich der aktiven Arbeitsbewältigung sehen. In der digitalen Arbeitswelt gibt es weder Anfang noch Ende, es gibt 24/7 Workflows. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass die Menschen eine ungenügende Disziplin haben im Umgang mit den digitalen Devices. User verlieren sich in den Weiten des Internets, schalten die Geräte zu wenig ab und distanzieren sich zu selten davon.

Im Unternehmenskontext bedeutet das eine völlig neue Ausgangslage. Die Arbeitskultur in Teams wird interdisziplinärer. Diese Interdisziplinarität erfordert eine hohe Leistungsbereitschaft in verschiedensten Disziplinen.

Im alten Teamstrukturen war es so, dass wir uns an vertikale Strukturen und an feste Hierarchien gewohnt waren. Es gab für alle möglichen Hierarchiestufen einen Verantwortlichen, der die Ziele definiert hat und den Prozess im Normalfall geführt hat.

Vordenker sind überzeugt davon, dass sich Teams in Zukunft in agilen Arbeitsformen stets neu zusammensetzten.

Vertikale Spezialisten kommen an Board und kontrollieren dabei die Leistungserstellung. Spezialisten mit Technologiekenntnissen, Finanzspezialisten sowie Big-Data-Analysten. In der Medizin werden es Researcher sein, die in der Lage sind, grosse Datenmengen zu analysieren um diese einem Arzt in praktikablen Form zugänglich zu machen. Die Teams werden also rotieren und mutieren.

Diese neue Ausgangslage ist für jede Form von Zusammenarbeit eine Herausforderung, weil sich zukünftig die Frage stellen wird, wer in diesen mutierenden, wechselnden Teams die Leistungskontrolle erbringt. Denn die Leistungskontrolle ist im kapitalistischen System eine unerlässliche Maxime.

Die Leistungskontrolle stellt sich als unerlässliche Maxime dar, weil wir erstens für den Kunden eine Leistung erbringen müssen, welche er bezahlt und wir uns zweitens mit Konkurrenten vergleichen können, welche dasselbe anbieten.

Erste Unternehmen haben den Leistungsbonus für die Einzelperson abgeschafft und ersetzten diesen durch einen Leistungsbonus für Teams.

Digital Leadership

Punkt 1: Aus meinen Erfahrungen in der Führung von rund 750 Mitarbeitenden sind in meinen Augen die Anforderungen an das Management in agilen Levels dermassen komplex, dass es nicht möglich ist zu führen ohne vorher gelernt, geforscht und sich praktisches Wissen angeeignet zu haben.

Punkt 2: Können. Ein sogenannter Digital Leader muss ein hohes Mass an Empathie-Fähigkeit mitbringen und in schwierigen Situationen die Fähigkeit beweisen, durchhalten zu können. Digitale Projekte haben die Eigenschaft, unübersichtlich zu werden und aus dem Ruder zu laufen – auf der Zeitachse und auf der Ebene der verfügbaren Ressourcen.

Als dritter Punkt sehe ich die Nehmerfähigkeiten: Um mit Rückschlägen und schwierigen Situationen umgehen zu können muss eine Leader-Persönlichkeit über Nehmerfähigkeiten verfügen, also einstecken können. Damit verbunden sind Kompetenzen wie Selbstsicherheit, Überzeugungskraft und Ausdauer. Wobei ich die Ausdauer über alles setzen würde, speziell in Zeiten der digitalen Transformation. Eigene Ausdauer sollte durch regelmässiges Training gestärkt werden.

Die deduktive Teamkultur

Für eine vertikale Bewältigung der agilen Teams wird es für deren Teamkultur in Zukunft unerlässlich, dass diese deduktiv orientiert ist. Das heisst, das grosse Ganze zu sehen, Wertschätzung zu zeigen, für den Teamerfolg sowie das Wohlergehen eines Teams zu sorgen.

Die digitale Transformation wird in eine neue Wirtschaftsform münden: Weniger die Gewinnmaximierung als Hauptkomponente, vielmehr die Wohlergehens-Maximierung wird künftig im Zentrum stehen. Nicht etwa freiwillig, sondern um den Klima-Kollaps in letzter Minute zu verhindern.

Blick in die Zukunft – drei Stichworte

Digitale Kompetenz: Digitale Kompetenz bedeutet mit dem Technologieangebot, wie wir das heute kennen, selektiv umgehen zu können.

Energie-Spar-Modus: Heute geht zu viel Energie verloren, indem sich User völlig unnütze Dinge im Internet anschauen, die sie nicht weiterbringen. Da geht sehr viel Zeit verloren. Wie die Hirnforscher jetzt immer warnender erkennen zunehmend, es geht viel psychische Energie verloren.

Digitale Mündigkeit: Immanuel Kant hat früher ein Postulat formuliert: Die Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Dieses Sprichwort lässt sich hervorragend auf die heutige Realität anpassen. Wir sind zurzeit in einem Zustand der digitalen Unmündigkeit. Der Mensch hat viel zu wenig Selektionshärte und Selektionserfahrung in Bezug auf die digitalen Medien. Digitale Kompetenz heisst in Zukunft einen besseren Umgang mit den digitalen Medien und dem Internet. Da wird an Fachhochschulen und Mittelschulen zu wenig für die Zukunft gearbeitet.

Digital Disruption und Tesla als Early Adopter

Grundsätzlich sollte sich jedes Unternehmen überlegen, ob die Prozesse, wie sie heute sind gut funktionieren. Aufgrund des digitalen Hypes gibt es keinen Grund, gut bewährte Produktionsabläufe umgehend in Frage zu stellen.

Viel wichtiger ist, in die Zukunft zu blicken und sich kritisch zu Fragen, ob die Produktionswelt die man als Firma besitzt intakt ist oder ob diese von disruptiven Technologien oder neuen Arbeitsansätzen gefährdet ist. Tesla als Early Adopter und mit einem drittel Anstieg der Aktie im letzten Jahr ist ein gutes Beispiel dafür. Die Firma hat nicht nur an elektrische Autombile gedacht, sondern auch an Ladestationen und Reparatur-Infrastrukturen.


Zur Person:

Bendicht Luginbühl hat seine Journalismus-Ausbildungen in Bern, Zürich, München und in den USA durchlaufen. Er wurde für seine journalistischen Leistungen mehrfach ausgezeichnet. Luginbühl hält ein Diplom für Informationsmanagement und verfasste eine beachtete Diplomarbeit zum Thema «Der Marketplace für Special Interest Medien» bei der HSG-Titularprofessorin Dr. Katarina Stanoevska, Dozentin für Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen, mit besonderer Berücksichtigung der digitalen Kommunikation.

Luginbühl war früh Journalist und Redaktor in Printmedien, Chefredaktor von Special Interest Fachzeitschriften zum Thema Fahrrad. Der Berner war 1984 Mitbegründer und später Programmchef der nationalen Radiostationen DRS3 und DRS Virus (heute SRF3 und SRF Virus). Mit seinem Leitmotiv «Musik ist Information» führte er den nationalen Rocksender zurück auf den Erfolgspfad, mit weit über einer Million täglicher Hörer der reichweitenstärkste Popsender der Schweiz.

Mit Swisscontent Corp. gründete Luginbühl im Jahr 2000 das erste digitale Verlagsunternehmen der Schweiz und war der erste CEO dieser auf Content Management spezialisierten Gesellschaft. Seit nunmehr 15 Jahren ist Bendicht Luginbühl Mitinhaber und Partner der REPAPER Consulting AG, eines Beratungsunternehmens mit Kernkompetenzen im digitalen Informationsmanagement. Die Firma berät nationale und internationale Unternehmen, Schweizer Kantonsregierungen und Unterorganisationen der europäischen Union EU.


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